Der Nationalrat will die Pharmaindustrie stärker belohnen, wenn sie Therapien gegen seltene Krankheiten entwickeln. Die unschöne Entwicklung lässt sich absehen. Je näher die Preise für breit eingesetzte Medikamente vom Staat gegen null gedrückt werden, desto intensiver sucht die Pharmaindustrie nach alternativen Einnahmequellen. Und sie hat sie gefunden: die seltenen Krankheiten. Tausende davon soll es geben, Tendenz steigend. Wie kann das sein, fragt sich der Normalbürger. Wird die Welt nun plötzlich von Ausserirdischen bedroht, die unheimliche Krankheiten verbreiten? Nein, die Sache ist einfacher. Als selten gilt eine Krankheit, wenn höchstens 5 (EU), 7.5 (USA oder 1 (Australien) Personen pro 10‘000 Einwohner davon betroffen sind. Beispiele sind Morbus Pompe, Mukoviszidose, Morbus Fabry, Morbus Wilson. Lange gab es für Personen, die an diesen Krankheiten litten, keine spezifischen Medikamente. Das hat sich geändert. Das Interesse der Pharmaindustrie an seltenen Krankheiten ist geweckt, denn hier spielt der Preis kaum eine Rolle. Die Kosten pro Behandlungsjahr steigen schnell in sechsstellige Bereiche. Das sei unabdingbar, um die hohen Forschungskosten mit den geringen Fallzahlen decken zu können. So weit so gut. Das ist nachvollziehbar. Angesichts der staatlich gegen null gedrückten allgemeinen Medikamentenpreise tut sich hier ein lukrativer Markt auf, bei dem kaum jemand Kritik anzubringen wagt, denn wer wollte den Personen, die an seltenen Krankheiten leiden, die lang ersehnte Therapie verweigern. Doch so wie man bei der Zahnpastatube einfach das Loch grösser macht, um den Verbrauch zu erhöhen, machen sich die interessierten Kreise nun daran, die Zahl der «seltenen» Krankheiten zu erhöhen. Dank moderner Gentechnik gelingt das gut. Man nehme zum Beispiel eine Krebsart, finde eine kleine Abweichung zum Normalfall und schwupps, hat man eine neue seltene Krankheit. Die dazu passende Therapie ist schnell gefunden, und die Kasse klingelt.
Und was macht der Staat? Er drückt die Preise jener 99 Prozent der Medikamente, die für 99 Prozent der Bevölkerung gebraucht werden, weiter Richtung null, und nimmt dabei in Kauf, dass bewährte Produkte vom Markt verschwinden, weil sich mit einem Publikumspreis von 1 Franken 75 beim besten Willen weder Produktions- noch Vertriebskosten decken lassen, und Medien, Preisüberwacher, Gesundheitsminister und weitere Profisparer beklagen weiterhin undifferenziert «die hohen Medikamentenpreise». Das ist unverantwortlich und kurzsichtig. Es wäre an der Zeit, das Thema Medikamentenpreise differenziert zu betrachten. Vielleicht sollte sich der Nationalrat auch einmal mit dieser Seite der Medaille befassen.
http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/lukratives-geschaeft-mit-seltenen-krankheiten-1.18534575
4. Mai 2015
Foto © B. Wylezich