Dass die hochpreisigen Medikamente jeden Rahmen sprengen, ist offenkundig. Dass die Pharmafirmen mit Preisen im fünfstelligen Frankenbereich langfristig nicht durchkommen, liegt auf der Hand. Wenn eine einzige Indikation wegen der horrenden Kosten für die Therapie zehn, zwanzig oder gar dreissig Prozent des gesamten Budgets für Medikamente auffrisst, ist das weder realistisch noch fair. Da nützen auch die nun krampfhaft gesuchten Geld-zurück-Modelle nichts. Die Bürokratie, die dadurch entsteht, bläht die Kosten nur noch mehr auf. Am Schluss hat man nach monatelangem Hin und Her vielleicht erreicht, dass ein Patient eine Medikamententherapie nicht bezahlen muss, weil sie ihm nicht geholfen hat. Dafür haben sich tausende von Franken Kosten angehäuft für Ärzte, Rechtsanwälte, Gutachter, Richter. Und dies in jedem Fall. Es kann ja auch sein, dass der gesamte Aufwand am Schluss nicht zum Erfolg führt. Dann bleibt die doppelte Rechnung. Wer bezahlt die dann?
Man sollte sich einmal fragen, woher diese Entwicklung kommt. Es ist doch kein Zufall, dass in kurzer Zeit die «seltenen Krankheiten» zum grossen Thema geworden sind. Die gab es doch schon immer. Warum sind die jetzt plötzlich so dominant? Und wie kommt es, dass mehr oder weniger über Nacht in der Schweiz angeblich 500‘000 Personen an einer seltenen Krankheit leiden? «Tendenz steigend», wie «Experten» mit ernster Miene in jeder Gesundheitssendung verkünden. Ach ja? Wie denn das? Haben wir plötzlich alle einen Gendefekt? Der Tag ist dann wohl nicht mehr fern, da leidet die gesamte Bevölkerung an einer seltenen Krankheit.
Als Apotheker erinnert man sich an den Grundsatz, dass jede Wirkung mit einer Nebenwirkung einhergeht. Die horrenden Preise für «Spezialtherapien» könnten eine solche Nebenwirkung sein. Der staatliche Preisdruck für die breit angewendeten Medikamente ist derart rigoros, dass sich die Herstellung für viele Präparate schlicht nicht mehr lohnt. Was macht der weitsichtige Geschäftsmann? Er sucht sich neue, lukrativere Geschäftsfelder! Das macht jeder Lebensmittelhändler mit Erfolg. Er streut ein paar Trüffelbröckchen in die Salami und verkauft sie zum dreifachen Preis, er mariniert das Lammstück, steckt es mit zwei Dörrpflaumen auf einen Spiess, eh voilà, schon kann er es zu einem weit höheren Preis verkaufen. Warum sollen ausgerechnet im Pharmamarkt andere Marktgesetze herrschen. Störend ist dabei ja nur, dass der Patient beim Kauf nicht frei ist in der Entscheidung und dass der Preis von der allgemeinen Krankenkasse bezahlt wird.
Mit anderen Worten: Vielleicht wäre es vernünftiger, man liesse der Pharmaindustrie für die breit angewendeten Medikamente einen fairen Preis. Dann würden sie möglicherweise etwas weniger forsch versuchen, mit Spezialtherapien für «seltene Krankheiten» den Umsatzverlust zu kompensieren. Eine solche Preispolitik hätte zudem die erwünschte Nebenwirkung, dass dann auch die Apotheker als wichtige und kostengünstige Leistungserbringer in der Grundversorgung eine faire Abgeltung für ihre Leistungen erhalten.
http://www.nzz.ch/wirtschaft/kommentare/bezahlt-wird-nur-wenn-es-wirkt-1.18637379
- Oktober 2015