Dass der Ärztestopp aufgehoben wird, ist grundsätzlich positiv. Es kann nicht sein, dass qualifizierte junge Ärzte nur dann eine Praxis übernehmen können, wenn ein älterer Kollege seinen Platz freimacht. Es kann aber auch nicht sein, dass nun einfach jeder, der eine Praxis eröffnet, praktisch eine Umsatzgarantie erhält, weil er seine Leistungen ohne weiteres der Krankenversicherung belasten darf. Dies unabhängig davon, wie gut er arbeitet, wie streng oder grosszügig er Diagnosen stellt und wie bedarfsgerecht sein Fachgebiet ist. Wenn keiner mehr Hausarzt werden will, weil er als Facharzt mehr verdient und geregeltere Arbeitszeiten hat, dann soll er das tun. Aber auf eigenes Risiko.
Die Krux bei einer Aufhebung des Vertragszwangs liegt darin, dass damit auch die freie Arztwahl fällt. Wenn der Versicherte X bei der Krankenkasse Y versichert, sein Arzt dort aber nicht akkreditiert ist, ist der Versicherte gezwungen, entweder einen anderen Arzt zu suchen oder die Rechnung aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Das ist eine unhaltbare Situation, die in der Praxis ziemlich sicher zu unendlichem Gezänk führen wird. Der Versicherte X wird auf die Barrikaden steigen, weil er auf sein Recht der freien Arztwahl pocht. Die Krankenkassen werden sich permanent wegen ihren für die Zulassung von Ärzten angewendeten Kriterien rechtfertigen müssen. Und die Ärzte sehen sich einem Gewirr von unterschiedlichen Anforderungskriterien ausgesetzt. Will ein Arzt sich bei mehreren Krankenkassen auf die Liste setzen lassen – was ja wohl der Normalfall sein wird –, sieht er sich womöglich einem Wust von zusätzlicher Administration ausgesetzt.
Der einzige Akteur, der dafür sorgen könnte, dass der Markt tatsächlich spielt, ist der Konsument. Nur hat man ihm seit der Einführung der obligatorischen Krankenversicherung die Eigenverantwortung gründlich abgewöhnt. Weil jedem jede medizinische Leistung zusteht, legen sich Herr und Frau Schweizer erstaunlich bereitwillig auf den Schragen. Gelenkprothesen, Kaiserschnitt und Herzstent sind so selbstverständlich geworden, dass beim Smalltalk die eigene Krankengeschichte noch vor der Wetterprognose kommt. Die permanenten Ermahnungen von staatlichen Stellen und selbsternannten Gesundheitsexperten, was alles krank machen könnte, tun ein Übriges, dass wir ein Volk von Hypochondern geworden sind. Frei nach dem Motto, der Gesunde ist einer, der seine Diagnose noch nicht kennt, rennen wir von der Darmspiegelung zur Mammografie und von dort zum Haut-, Augen- und Herzspezialisten, um wirklich jedes Risiko auszuschliessen.
Die Situation ist vertrackt. Und doch wird kein Weg daran vorbeiführen, auch die Versicherten wieder mehr in die Pflicht zu nehmen. Versicherungsmodelle, die die Konsumenten dazu verpflichten, bei leichten Gesundheitsstörungen zuerst einmal beim Apotheker vorzusprechen, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Die Hightech-Medizin ist wichtig. Es braucht aber vor allem eine bezahlbare Grundversorgung, und diese erreichen wir mit wieder etwas mehr Gelassenheit und Bodenhaftung beim Thema Gesundheit und Wohlbefinden.
23 Dezember 2015
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