Als kürzlich bekannt wurde, dass die Krankenkasse Visana aufgrund von statistischen Daten die Abrechnungen diverser Spitäler durchleuchtete und bei einigen von ihnen Geld zurückforderte, war der Schock gross. Die Forderungen seien absurd, sagte der Präsident des Berner Spitalverbands gegenüber der Berner Zeitung, und auch bei den öffentlichen Spitälern des Kantons Bern war die Verärgerung gross.
Liegt die Visana mit ihrem Vorgehen wirklich so falsch? Sie machte doch eigentlich nur das, was in der Privatwirtschaft gang und gäbe ist. Man schaut sich den Markt an und überlegt, wo man besser nicht investiert, weil der Markt bereits übersättigt ist. Die Visana besorgte sich vom Bundesamt für Statistik die Daten von den rund 1,2 Millionen Spitalbehandlungen, die in der Schweiz jedes Jahr vorgenommen werden, errechnete daraus durchschnittliche Werte und entdeckte, dass einige Spitäler überdurchschnittliche Fallzahlen für bestimmte Behandlungen bzw. Schweregrade von Krankheiten verrechnet hatten. Sie fand letztlich das heraus, was auch von Vergleichen zwischen den Kantonen bekannt ist, nämlich dass Gelenkprothesen, Kaiserschnitte und Herzstents offensichtlich nicht überall nach denselben streng medizinischen Kriterien angeordnet werden. Bei allen lokalen Eigenarten ist es dann doch unwahrscheinlich, dass die Bewohner eines Kantons drei Mal häufiger kaputte Kniegelenke haben als jene der restlichen Schweiz. Die Analyse zeigt nichts anderes, als dass sich das Angebot nicht überall nach den Bedürfnissen richtet, sondern die Anbieter ihren «Kunden» sagen, was sie kaufen müssen. Im Spitalbereich ist diese ungemütliche Situation nicht zu vermeiden. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist nun mal keine übliche Kundenbeziehung. Es muss deshalb erlaubt sein, anhand von statistischen Daten die Plausibilität von Spitalrechnungen zu überprüfen. Wenn plötzlich jeder zweite todgeweiht marode Herzkranzgefässe und unrettbar kalkzerfressene Hüftgelenke hat und aus jeder eitrigen Wunde eine lebensbedrohliche Sepsis wird, läuft etwas falsch. Es geht letztlich um dieselbe unheilvolle Entwicklung wie bei den seltenen Krankheiten, dem aus der Zauberkiste geholten Hätschelkind der Pharmaindustrie, das einzig dem Zweck dient, mit möglichst hochpreisigen Medikamenten die Ausfälle, die wegen des anhaltenden staatlichen Preisdrucks entstehen, zu kompensieren.
Wir alle sollten uns gegen diese Entwicklung stemmen. Hochgeschraubte Behandlungsansätze in den Spitälern verschlingen Ressourcen, die bei der Versorgung der grossen Mehrheit der Bevölkerung mit handelsüblichen, breit angewendeten, bewährten und tiefpreisigen Medikamenten bald einmal fehlen werden.
23. Dezember 2015
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