Dieser Artikel von Andreas Faller ist zuerst in der Basler Zeitung vom 5. April 2018 erschienen.
Die steigenden Krankenkassenprämien stellen unser solidarisch funktionierendes System auf eine harte Probe
Durch die steigenden Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien wird unser solidarisch funktionierendes System auf eine harte Probe gestellt und es wird immer schwieriger, die gesunden Prämienzahler davon zu überzeugen, Behandlungen von Patientinnen und Patienten mit ihren Prämien zu finanzieren.
Was tun die Systemverantwortlichen?
Ende 2016 hat das Eidgenössische Departement des Innern eine 14-köpfige Expertengruppe beauftragt, Massnahmen zur Erzielung von Einsparungen im Gesundheitswesen zu erarbeiten. Deren Bericht mit 38 Massnahmen wurde am 25. Oktober 2017 publiziert. Vergangene Woche hat der Bundesrat entschieden, einen ersten Teil von zwölf Massnahmen im kommenden Herbst, einen zweiten Teil im Jahr 2019 in die Vernehmlassung zu schicken.
Was ist dieses Massnahmenpaket wert? Es liegt hier ein Strauss an Massnahmen vor, von denen ein bedeutender Teil durchaus als gut und sinnvoll einzustufen ist, ein weiterer Teil aber als problembehaftet. Leider stehen die vorgeschlagenen Massnahmen teilweise im Widerspruch zueinander und folgen keinem systematischen Reformplan.
Gewisse wichtige Themen werden zudem nur zaghaft angegangen, zum Beispiel die heikle Mehrfachrolle der Kantone. Somit würde eine darauf abgestützte Revision des schweizerischen Gesundheitswesens wichtige Probleme nicht anpacken und keine nachhaltige Systemverbesserung bewirken.
Schwierig ist ausserdem die vom Bundesrat beschlossene, gestaffelte Bearbeitung, eine dahinterstehende Logik ist nicht erkennbar. Hierzu sei ein Beispiel herausgegriffen: Im Herbst 2018 wird mit dem Referenzpreissystem eine erste neue Massnahme im Arzneimittelbereich zur Diskussion gestellt, die weiteren Massnahmen in diesem Bereich sollen erst im Jahr 2019 in die Vernehmlassung gehen. Aus dem gewählten Vorgehen ist kein Versuch erkennbar, die Preisbildung von Arzneimitteln als Ganzes nachhaltig zu reformieren, wie es breite Kreise seit längerer Zeit fordern.
Hinzu kommt, dass hier mehrere sehr gute Vorschläge aus dem Parlament nicht berücksichtigt worden sind. Dabei handelt es sich um Vorschläge, die Einsparungen bringen würden, ohne Behandlungsqualität und Therapiefreiheit zu gefährden.
Auf diese Probleme angesprochen, erwidern einzelne Mitglieder der Expertengruppe, es sei weder ihr Auftrag gewesen, kohärente, zusammenpassende Vorschläge zu erarbeiten noch einen systematischen Revisionsvorschlag für das schweizerische Gesundheitswesen vorzulegen. Dafür habe auch die zur Verfügung stehende Zeit nicht gereicht.
Erneute Pflästerlipolitik
Somit besteht nun die Gefahr, dass ein weiteres Mal viel Aufwand für eine Revision betrieben wird, die schlussendlich als «Flickenteppich» im politischen Prozess auseinanderbricht und scheitert. Dabei fühlt man sich zurückversetzt ins Jahr 2009, in welchem der Bundesrat ein ähnliches Massnahmenpaket zur Dämpfung der Gesundheitskosten vorlegte und damit im Parlament scheiterte. Damals war in den Medien von «Pflästerlipolitik» die Rede.
Es braucht nun dringend ein funktionierendes Massnahmenpaket. Was müsste getan werden? Ein erfolgversprechendes Sparpaket müsste im Dialog mit den Akteuren des Gesundheitswesens erarbeitet werden, um damit bestmögliche Akzeptanz für Massnahmen zu schaffen. In früheren Jahren auf diesem Weg erarbeitete Massnahmen im Arzneimittelbereich erzielen noch heute einen Spareffekt – das funktioniert also.
Entscheidend wäre ausserdem, kein Sammelsurium an Massnahmen zur Umsetzung zu bringen, sondern Parlament und Akteure von einem systematischen Reformplan zu überzeugen. Die Stichworte hierzu heissen: Fehlanreize, Ineffizienz, Mengenausweitungen, fehlender Qualitätswettbewerb. Hier müssen Massnahmen ansetzen, hier kann massiv Geld eingespart werden, ohne dass Rationierungsmassnahmen zum Nachteil der Patienten nötig sind.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Krankenversicherungsgesetz (KVG), welches die Grundlage unseres Gesundheitswesens bildet, deutlich besser ist als sein Ruf und eigentlich viele Lösungen bieten würde. Und statt vorschnell zu revidieren, sollte es nun endlich richtig umgesetzt werden. Aber auch dafür bräuchte es Massnahmen.
Ein Beispiel: Für die Beurteilung von Leistungen nennt das KVG drei Kriterien: Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit, mit anderen Worten sollen mit Prämienmitteln nur Leistungen finanziert werden, bei denen das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmt. Über 20 Jahre nach Inkrafttreten des KVGs fehlt es hier aber nach wie vor an einer «Gebrauchsanweisung» sprich Operationalisierung dieser Grundsätze, womit diese wichtigen Regeln nach wie vor nicht einheitlich und transparent zur Einsparung von Kosten eingesetzt werden können. Ein hierzu vom Bundesamt für Gesundheit im Jahr 2011 erstellter erster Entwurf ist seither bedauerlicherweise nicht mehr weiter bearbeitet worden.
Fehlanreize eliminieren
Neben der richtigen Anwendung des KVGs ist es nun dringend an der Zeit, durch weitere Massnahmen Fehlanreize zu eliminieren und durch richtige Anreize zu ersetzen: Unnötige Leistungen sollen künftig nicht mehr aus Prämienmitteln finanziert werden, kosten- und qualitätsbewusstes Verhalten soll belohnt, Qualitätswettbewerb und Transparenz gefördert, Ineffizienz und Mengenausweitungen bekämpft werden.
Wie weiter? Es braucht nun einen überzeugenden Reformplan für unser Gesundheitswesen. Hierzu muss man zunächst eine «Reform-Landkarte» erstellen und in der Folge die notwendigen Reformen Thema für Thema angehen und gleichzeitig Überzeugungsarbeit leisten. Dabei ist jeweils zuerst zu prüfen, wo Probleme durch die richtige Anwendung des KVGs gelöst werden können.
Die nun vorgelegten Massnahmen könnten teilweise in eine solche Reform eingearbeitet werden. Das ist eine anstrengende und aufwendige Arbeit, aber der einzige erfolgversprechende Weg für eine nachhaltige Reform unseres Gesundheitswesens. Und je länger sie nicht an die Hand genommen wird, umso weiter werden die Gesundheitskosten unkontrolliert steigen.
Andreas Faller ist Rechtsanwalt und Berater im Gesundheitswesen, Geschäftsführer Bündnis Freiheitliches Gesundheitswesen.